Milchkaffee und Schokoladentorte

Gepostet von am Dez 17, 2016 in GeDANKEnwelt

Marie und Julie, zwei beste Freundinnen in den 30ern, zur Zeit kinderlose Singles. Zwei Freundinnen, die sich so regelmäßig wie es nur geht, in ihrem Lieblingscafé treffen, um bei Milchkaffee und Schokoladentorte ihre Herzen und Bäuche auszuschütten. Geschichten, die vielleicht genau so passiert sind. Oder auch nicht. Heute:

Fast perfekt ist mal wieder nicht gut genug

 

Der Kellner stellt eilig ein „Reserviert“-Schild auf den Tisch hinten im Eck, an dem am liebsten frisch verliebte Pärchen stundenlang Händchen halten. An diesem kleinen Tisch mit dem monströsen Sofa kann man der Betriebsamkeit des Café `s entfliehen oder sie vom Rande aus beobachten. Eben kam ein Anruf einer seiner Lieblingskundinnen, die darum bat, ausnahmsweise den Tisch in der Ecke zu reservieren. Sie wolle sich heute nicht an irgendeinen Tisch im Café setzen, was sie sonst gern tut. Trotz des regen Café-Betriebes hatte er in ihrer Stimme etwas wahrgenommen, das ihn sofort nach hinten gehen ließ, um die Reservierung vorzunehmen. Seiner Freude, die zwei Freundinnen heute wieder in seiner Schicht zu sehen, mischte sich so etwas wie Sorge. Irgendetwas musste passiert sein, dessen war er sich sicher. Das Läuten des Telefons holte ihn zurück aus seinen Gedanken und er widmete sich wieder seinen Aufgaben. Es dauert noch eine Weile, bis sich die Tür des kleinen Cafés öffnet und die zwei Freundinnen Marie und Julie eintreten.

Die drei begrüßen sich wie gewohnt mit ein paar lockeren Worten. Die Frauen bestellen Milchkaffee und Schokoladentorte gleich am Tresen und der Kellner bemerkt, dass die beiden heute nicht ganz so fröhlich sind wie sonst. Als er das Bestellte zu dem kleinen Tisch bringt, sitzen die beiden Frauen schweigsam beieinander. Er stellt ohne große Worte und Gesten Kaffee und Torte ab und zieht sich leise zurück. Auf diesen Moment haben die zwei gewartet. Ist es ihnen sonst ziemlich egal, wenn andere Gäste oder ihr Lieblingskellner ein paar Passagen ihrer Gespräche oder ihr lautes Gelächter mitbekommen, sind sie heute bemüht, kein Wort für andere hörbar auszutauschen. Marie schaut ihre Freundin ein wenig besorgt an und legt ihr liebevoll eine Hand auf den Arm. „Was ist los, Julie?“ fragt sie mit leiser Stimme. Dabei beobachtet sie ihre Freundin und sieht, wie diese mit sich und den Tränen kämpft. Vielleicht hätten sie sich doch lieber zu Hause treffen sollen? Doch Julie wollte gern ins Café. Marie schaut zu, wie Julie in ihrer Schokoladentorte herumstochert, von der sie sonst am liebsten gleich zwei Stück isst. Sie nippt an ihrem Milchkaffee und wartet ab.

Auf einmal geht ein Ruck durch Julie. Sie stellt den Teller ab, nimmt Marie´s Hand und hält sich einen Augenblick an ihr fest. „Marie.“, beginnt sie stockend. „Es ist wieder passiert.“ Sie hält inne und holt tief Luft. Marie sieht, wie sich Tränen in Julies Augen sammeln, und sie holt schnell ein Taschentuch hervor. „Was hat er getan?“ fragt sie helfend und wissend, dass es sich nur um jenen Mann handeln kann, den Julie vor ein paar Wochen kennengelernt hat. Mit einem traurigen Blick, der Marie fast das Herz zerreißt, schaut Julie sie an. „Ich habe mit vollem Einsatz gespielt und habe gestern mein Herz wieder vom Tisch genommen.“ Eine Träne löst sich aus ihren Augenwinkeln, die sie schnell wegwischt. „Er hat sich nicht mehr mit mir getroffen. Der Kontakt wurde immer weniger. Irgendwann schrieb er, dass es so schön mit mir ist, ich fast perfekt bin. Aber es würde ihn zerreißen.“ spricht Julie leise weiter. „Was genau?“ fragt Marie überrascht. „Ich weiß es nicht genau. Er schreibt und spricht seitdem kaum noch. Ich habe das Gefühl, er steht vor einer großen Entscheidung, die ihm Angst macht und etwas mit mir bzw. unserem Kennenlernen zu tun hat.“ Marie schnaubt, doch sie sagt nichts dazu. Zu oft hat ihre Freundin sie mit ihren Gefühlsahnungen schon aus den Socken gehauen, weil sie zwar aus der Luft gegriffen schienen, aber so oft auf den Punkt stimmten, als könne Julie aus dem Kaffeesatz lesen.

„Mein Wechselbad der Gefühle in den letzten Tagen war grauenhaft.“ spricht Julie weiter. „In dem einen Moment fühlte ich, dass alles gut ist und im nächsten Moment wusste ich nicht mehr, ob ich ihm auch nur ein Wort glauben kann. Ich wusste nicht mal mehr, ob ich mir selber noch traute und all das Erlebte vielleicht nur ein Hirngespinst war. Eine von diesen bescheuerten whatsapp- oder Facebook-Beziehungen, die so viele heutzutage zu führen scheinen. Virtuelle Partnerschaften, aus Angst, sich im wahren Leben zu begegnen. Ich bin fast verrückt geworden vor Ungeduld, wegen all der Fragen, auf die ich keine Antworten bekam. Es hat eine Weile gedauert, bis es mir wie üblich gelang, nicht ihm, sondern mir die richtigen Fragen zu stellen, mich aus der schönen Emotionalität zu lösen und mir die Fakten anzuschauen.“ Aufmerksam, ohne auch nur eine ungeduldige Zwischenfrage zu stellen, hört Marie zu. Ihre Freundin wirkt in ihrer Verletzlichkeit so stark, dass sie mal wieder nur liebevolle Bewunderung für sie empfindet.

„Es wurde schnell klar, dass es um das Thema Selbstwert geht. Bei allem Verständnis für ihn, bei aller Geduld, musste ich mir die Frage stellen, wie lange ich mich in dieser Situation befinden will. Wie lange ich bereit bin, meine eigenen Bedürfnisse hinten an zu stellen oder mir gar nicht erst bewusst zu machen, weil ich ahnte, dass jede klare Forderung an ihn seine Angst und seinen Rückzug nähren würden. Weil ich wusste, dass jede unbeantwortete Nachricht den Schmerz in mir nährt. Es hat ein paar Anläufe gebraucht, um an den Punkt zu kommen, meinerseits die Kommunikation einzustellen. Ich habe einfach das Gefühl, dass wir gut zusammen passen würden, uns viel zu geben hätten, viel Schönes und Lustiges miteinander erleben könnten. Ob als Paar oder Freunde hätte sich noch herausgestellt. Wer weiß das schon so genau nach ein paar wenigen Treffen?“

„Was hast du getan, Julie?“ Marie nimmt die Hand der Freundin und weiß, dass diese nun all ihre Kraft zusammen nehmen muss, um laut auszusprechen, was sich in ihrem Inneren abspielt. Deshalb sitzen sie auch in ihrem Lieblingscafé, denn das, was da in ihrer Freundin gärt, muss in einen großen Raum, damit es sich verändern kann und sie nicht weiter so belastet. Noch einmal holt Julie tief Luft und lässt sich tiefer in die Geborgenheit der Freundschaft fallen. „Ich habe mir bewusst gemacht, wie wundervoll die Zeit mit ihm war, wie sehr ich mich in seiner Gesellschaft mochte, wie sehr ich ihn mag. Ich habe mir klar gemacht, wie viel Kraft mich die letzten Tage gekostet haben, wie ungut sich der Rückzug anfühlt. Ich habe mich entschieden. Ich mag ihn sehr, doch mich mag ich noch mehr. Ich bin für ihn vielleicht nicht ganz perfekt, doch ich bin es. Wenn nicht für ihn, dann für einen anderen, auf alle Fälle aber für mich. Ich bin gut so, wie ich bin, aber scheinbar nicht die Richtige für ihn. Nicht diejenige, die ihm den Mut gibt, seine Angst zu überwinden, sich Schwierigkeiten oder Veränderungen zu stellen, die es vielleicht für ihn zu bewältigen gäbe. Ich war bereit dazu. Er nicht. Also nahm ich mein Herz wieder vom Tisch und schaue, ob es vielleicht ein anderer geschenkt haben möchte.“

Die letzten Sätze spricht Julie leise, kraftvoll aus, wenngleich zu spüren ist, wie wenig sie gerade im Moment, da sie noch so traurig ist, daran glauben kann, dass es bald einen anderen, wundervollen Mann in ihrem Leben geben wird. Es fällt ihr im Moment noch schwer zu hoffen, dass sie bald einem anderen ihr Herz schenken kann, der es auch haben will. So in sich versunken übersieht sie den wertschätzenden Blick des Kellners, der die zwei Freundinnen von der Ferne ein wenig beobachtet hat und der spürt, dass da nicht nur zwei seiner Lieblingskundinnen sitzen, sondern zwei tolle Frauen, von der er sich eine nur zu gut an seiner Seite vorstellen kann.

 

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photo: PublicDomainPictures | pixabay.com

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