Vom Staunen oder Eine Begegnung der besonderen Art

Gepostet von am Sep 30, 2014 in GeDANKEnwelt

Ich sitze am See, genieße die wärmenden Strahlen der Septembersonne und lese. Da geht einer an mir vorbei und zieht sofort all meine Aufmerksamkeit auf sich. Er hat einen lustigen Gang, der mehr ein Tippeln, denn ein Laufen ist. Er tippelt hierhin, tippelt dorthin. Unterbrochen wird dieses Tippeln von häufigem Stehenbleiben und Schauen. Dieses Schauen ist erstaunlich. Mit welcher Intensität er sich alles ansieht. Ich lasse mein Buch sinken und beobachte ihn fasziniert. Wenn er tippelt, wedelt er mit seinen Armen, was ihn etwas tapsig erscheinen läßt. Das Wedeln wirkt im ersten Augenblick etwas unkoordiniert. Doch bei genauer Beobachtung ist mir, als wüsste er genau, wann er welchen Arm wohin recken muss, um etwas scheinbar Unsichtbares neu zu ordnen. Besonders berührt mich, wie er, während er tippelt und ab und an mit den Armen wedelt, aller paar Schritte seine Hände auf dem Rücken zusammenführt und dort für einen Moment ruhen lässt. In diesem Augenblick wirkt er unendlich weise, wissend. Wie gebannt betrachte ich ihn und das Geschehen, während er immer näher kommt. Als er auf gleicher Höhe ist, bleibt er vor mir stehen und unsere Blicke treffen sich. Tief ins Herz geht mir der Blick aus diesen klaren, wachen Augen, der gleichermaßen leicht und fröhlich, staunend und voller Liebe ist. Er neigt den Kopf etwas zur Seite und mir ist, als hielte er einen Moment inne, so wie man kurz überlegt, woher man sein Gegenüber wohl kenne. Im nächsten Augenblick legt sich ein strahlendes Lächeln auf sein Gesicht und er winkt mir freudig zu. Ebenfalls breit lächelnd winke ich zurück. Schon tippelt er weiter und ich beobachte ihn, wie er wedelnd, weise wirkend, seinen Weg fortsetzt. Einen tiefen Atemzug lang blickten wir uns an. Es war, als würde die Zeit stehenbleiben und sich der Raum um uns unendlich erweitern.

Es ist dieses Schauen und Staunen, dieses absolute im Moment sein, das meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Er beschaut alles und jeden, dem er auf seinem Weg begegnet, mit der gleichen augenblickstiefen Aufmerksamkeit, die ich eben geschenkt bekam. Das Pärchen auf der Bank unter der herbstgelben Birke, den Hagebuttenstrauch, dessen Grün verblasst, um die roten Früchte besser in Erscheinung treten zu lassen, die Enten am Seeufer, den kleinen Hund der Familie, die sich zum Sonnen auf die Wiese gelegt haben. Alles, was lebt und von ihm wahrgenommen wird, bekommt diese tiefe Aufmerksamkeit geschenkt. Aufmerksamkeit und dieses große Staunen und gleichzeitige Wissen, das mich ebenfalls tief berührt und erinnert hat. Er tippelt noch einige Schritte weiter, wedelt, verschränkt die Arme auf dem Rücken, bleibt stehen, staunt, sinniert. Mich überrascht immer wieder aufs Neue wie er in der einen Sekunde völlig kindlich wirkt und in der nächsten Sekunde eine Weisheit ausstrahlt, die mich ein ums andere Mal an Bilder von Buddha erinnern. Diese verrückte Kombination von wedelnden, scheinbar Luft ordnenden Armen und das so tiefe bei sich Sein, vermitteln mir den Eindruck, dass all das nicht zufällig geschieht, sondern er ganz genau weiß, was er da tut.

Erst als ein herannahendes kleines Flugzeug am klarblauen Himmel geräuschvoll über uns hinweg zieht, unterbricht er sein Tun. Er schaut mit großem Interesse, das nun von nichts anderem mehr abgelenkt werden kann, nach oben. Er streckt die Arme aus und mit lautstarkem Gebrabbel lässt er sich von seinem Vater hochnehmen, um so dem Himmel ein Stück näher zu sein. Nun Platz genommen auf Vaters starkem Arm, zeigt er mit dem Finger in den Himmel und seine großen Augen zeigen ein anderes Staunen. Schien er in jedem Lebendigem jemanden oder etwas wiederzuerkennen, ist dieses Ding da am Himmel völlig neu für ihn. Die beiden gehen zurück, kommen fröhlich miteinander redend wieder an mir vorbei, um diese Entdeckung mit der Mutter zu teilen, die schon aus der Ferne in den Singsang ihres Sohnes einfällt und in kindlichem Ton das Wort „Flugzeug“ wiederholt. Mit tiefer Freude im Herzen und hörbarem Lachen begleite ich Vater und Sohn mit meinen Blicken und danke leise für diese Momente, da mir eine alte und vertraute Seele im Körper eines vielleicht zweijährigen Kindes begegnete.

Tegernsee6

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