Spendier mir doch einen Kaffee
Beim Schreiben guter Texte wird mein Kaffee leider viel zu oft kalt. Hilf mir, meinen Kaffeevorrat zu füllen.
Lieber, besonderer Mann. Hör mir bitte zu, so offen, wie es dir möglich ist. Schenke mir den Moment, gehört zu werden und dir die Möglichkeit etwas Neues zu entdecken. Danke.
Stellen wir es uns so vor. Starker Mann, du, und wache Frau, sie, treffen aufeinander.
Sie begegnen sich in einem Spiegelkabinett der Eitelkeiten. Sie begegnen sich höflich, etwas distanziert, interessiert und mit einer angenehmen Leichtigkeit. Das Gespräch kommt schnell in Gang. Aus ihren ersten Worten wird dir klar, dass du schon mal nah dran bist an „der Nadel im Heuhaufen“. Gemeinsame Interessen, ein paar ähnliche Erkenntnisse aus der Vergangenheit und das alles gewürzt mit überraschender Tiefe und Wohlklang.
Nun verfolgst du, vielleicht unbewusst, nach deinen Regeln dein Ziel: erfahren, wer sie wirklich ist und was sich daraus ergeben könnte. Mit Eloquenz und deiner charmanten, durchaus einfühlsamen Art schickst du diese Frau nun mit all deinen Fragen nach dem Grund ihrer Suche, ihrer Vergangenheit, ihrem Jetzt und ihrer Idee vom Morgen durch ihr komplettes Lebens- und Gefühlshaus. Deine Fragen sind tief, konkret, klar, philosophisch. Ihre Antworten sind es ebenso. Humor hat sie auch. Davon bist du sehr angetan. Es beginnt zu menscheln, wird wärmer zwischen euch.
Stundenlang tauscht ihr euch aus. Du wirkst beschwingt, dein Ziel scheint ja doch in greifbare Nähe gerückt zu sein. Eine besondere Frau, tief, mittig, intelligent, mit Humor und Herz scheint gefunden zu sein. Dann ruft der Tagesplan und du gehst. Wahrscheinlich mit einem guten Gefühl des Erfolges.
Du gehst, ohne ein Wort des Abschieds oder der Verbindlichkeit. Nur ein Erklären, was als nächstes ansteht. Sie bleibt zurück. Aufgewühlt, etwas außer Atem, denn du hast sie mit all deinen Fragen, einmal quer durch ihr komplettes Lebenshaus geschickt. Garten, Wohnzimmer, Küche, Bad, Dachboden hat sie gezeigt und sogar im Keller hat sie dir ein paar Antworten aus alten Kisten geholt. Sie hat es gern getan, denn auch sie liest aus deinen Worten etwas, was sie sich sehr wünscht. Austausch auf Augenhöhe, Verbindlichkeit, Stärke, gesehen werden und Gefühl. Klingt nach ihrer „Nadel im Heuhaufen“.
Sie steht nun da, das ganze innere Haus steht weit offen und kurz wundert sie sich, wie viel sie dir in der kurzen Zeit gezeigt hat. Zeigen musste, denn deine Fragen waren sehr intensiv, der Austausch sehr echt. Ein Ausweichen hätte zu Missverständnissen führen können. Also hat sie es getan. Sie ist stark und mutig, sonst wäre sie heute nicht hier. Wer gefunden werden will, muss Suchende einlassen. Und er war schließlich auch ein besonderer Gast.
Das hat sie gespürt. Für sie war nicht nur entscheidend, dass du ähnliche Werte zu vertreten scheinst, mit Altem scheinbar abgeschlossen hast und wirklich interessiert an etwas Neuem bist. Sie spürt den tieferen Sinn der Begegnung, weiß darum, dass dies nicht zufällig geschah und ahnt, welch Geschenk du bist. Da ist nicht nur ein Wohlgefühl. Es ist ein Wissen: „Es hat so sein sollen.“
Und nun steht sie da. Regelrecht nackt steht sie hier und du bist weg. Dein letzter Satz war so etwas wie „Aus der alten Küche wird ein Badezimmer.“. Nun gut. Sie geht zu ihrem Tagesgeschäft über, während der Wind die langen Vorhänge in ihrem inneren Haus sanft über den Boden wehen lässt. Die Fenster und Türen stehen seit längerem mal wieder weit offen. Es vergehen Stunden um Stunden. Kein Lebenszeichen mehr von dir. Während sie sich einen ruhigen Abend gestaltet und freudig in den Erinnerungen an die Begegnung schwelgt, ziehen langsam dunkle Wolken auf. Nach tagelangem Schweigen pfeift ein scharfer Wind durchs Haus und sie beginnt sich zu fragen, warum sie so schnell alles geöffnet hat und warum sie nicht wieder alles schließen sollte. Sie ist Sturm gewöhnt, hatte so schnell nicht mit einem solchen gerechnet. So schließt sie traurig nach und nach jede Tür und jedes Fenster. Unmöglich, sich jetzt noch schnell einzureden, Tür und Tor hätten nie offen gestanden, all das sei nie passiert und zum normalen Tagesgeschäft zurückzukehren. Der Sturm ist da…
Eure Begegnung hat, du hast etwas in ihr geöffnet. Mit einem „Tschüss, bis bald.“ hätte sie die Tür sanft schließen können. Mit einem Lächeln wäre sie durchs Haus gegangen, hätte Fenster und vor allem die Kellertür wieder zugemacht. Das hat sie versäumt. Weil ihr zu spät klar wurde, dass du gegangen bist. Einfach so. Wahrscheinlich mit einem guten Gefühl. Nicht ahnend, dass dein Weggang und das tagelange Schweigen in ihr Höllenqualen auslösen. Eigene und die des weiblichen Kollektivs. Die trägt sie mit. Sie kann das. Sie muss das. Das gehört zu ihren besonderen Aufgaben hier. Du als Mann hast sie unwissentlich in den Kampf geschickt. Den Kampf um ihr eigenes Wohl und das unzähliger starker Frauen.
Lieber Mann, was nun kommt, wurde durch dich ausgelöst. Verursacht haben es viele Männer vor dir. Generationen von Männern haben Frauen das angetan. Sie haben sie benutzt, für ihre Zwecke missbraucht, verletzt, unterdrückt. Sie wollten von ihnen unterhalten werden, weibliche Reize und Tugenden nicht missen, aber nichts davon wissen, was es sonst noch heißt, Frau zu sein.
Ihr selbst ist allein in diesem Leben Furchtbares widerfahren. Sie wurde in frühester Kindheit verlassen, missbraucht, seelisch gequält. Doch sie ist nicht daran zerbrochen, hat sich nicht davon abbringen lassen, die Wahrheit herausfinden zu wollen. Wir sind alle Menschen. Nicht alle Männer sind Schweine und nicht alle Frauen sind Engel. Wir haben uns über die Zeiten gegenseitig viel angetan. Männer waren Frauen körperlich überlegen, Frauen in ihrer Gewalt subtiler und alle waren wir dabei.
In jedem Mann, in jeder Frau finden wir dieses grausame Erbe unserer Vorfahren. Wir leben es noch heute aus, haben uns zumeist aufs Subtile verlegt. Obwohl auch das mittlerweile sehr offensichtlich ist. Nein, sie ist keine verbitterte Feministin, aber sie sieht klar. Sie ist hier, um dazu beizutragen, dass dieser Kampf endlich aufhört, unser aller Wunden endlich heilen und wir eine neue Beziehungsebene miteinander erschaffen können.
Sie steht hier für das weibliche Kollektiv.Sie fühlt den Schmerz, die Trauer und hat gelernt, sie heilen zu lassen. Was sie jedoch aus ihrer Mitte riss, war diese unfassbare, so lange unterdrückte Wut. Es war nicht mangelndes Vertrauen, das sie diese hässliche letzte Nachricht schreiben liess. Es war blanke Wut. (Jahrhundertelang) Angestaute Wut, verlassen oder abgeschoben zu werden, nicht gesehen zu werden, vielleicht benutzt zu werden. Die Wut darüber, für weibliches Feingefühl und die Verbindung zu Unsichtbarem verachtet oder verhöhnt zu werden. Wut darüber, immer irgendwie sein zu müssen, aber nicht so sein zu dürfen. Wut darüber, authentisch sein zu sollen und dafür abgestraft zu werden, wenn frau es denn ist.
Sie hat sich vor dir fast nackt gemacht. So wichtig war ihr die Begegnung. Und dann geschah für sie etwas völlig Unverständliches, nicht Nachvollziehbares. Dein Handy zerbrach wohl an jenem Tag der Begegnung und dir fiel keine andere Lösung ein, als sie einfach warten zu lassen. Du wusstest ja schließlich um deine Integrität. Sie nicht.
Sie wollte so sehr daran glauben, doch der jahrhundertelang gesäte Zweifel nagte ausgerechnet hier an ihr. Den eigenen Schmerz und die eigene Wut hätte sie noch handeln können. Doch das Kollektive brach über sie herein. Das sollte geschehen. Deshalb war es zwischen euch so schnell so intensiv, die Zeit knapp und dein Handy später Schrott.
Sie konnte also gar nicht deiner Wunschvorstellung entsprechen und ruhig und gelassen auf eine erneute Nachricht von dir warten. Sie erledigte ihren Part und ging in den Keller. Sie stellte sich der Wut, ihrer eigenen und der von Generationen.
All das wusstest du nicht. Du warst zurück im Alltag, obendrein um die Reparatur deines Telefons bemüht. Du warst beschäftigt und wahrscheinlich war deine Welt in Ordnung. Bis du ihre letzte Nachricht auf deinem wiederhergestellten Handy erhalten hast. Wahrscheinlich bist du aus allen Wolken gefallen. Ist sie auch, schon Tage vor dir. Und du straftest sie ab. Mit kalten Worten, die es gut meinen sollten. Mit einem subtilen Tritt in die Vertrauens-Wunde. Und wähntest dich frei von all dem.
Lieber, besonderer Mann.
Glaubst du wirklich, du hast mit all dem nichts zu tun, es sei nur ihr Krempel, den sie noch nicht aufgeräumt hat? Meinst du wirklich, grußlos so zu gehen und für Unvorhergesehenes keine geschicktere Lösung zu finden, war clever? Bist du bereit für eine wache Frau, wenn du nur eine heftige Nachricht so persönlich nimmst, dass du keine weiteren Fragen stellst, sie durchs Raster fallen lässt, in den Pool der anderen abgedrehten Frauen, die dir den Nerv raubten? Bist du wirklich bereit für eine Beziehung mit einer starken Frau, wenn du beim ersten Sturm, den sie durchlebt, schon Reißaus nimmst?
Sie ließ dich durch eine heftige Nachricht am eigenen und am Sturm des weiblichen Kollektivs teilhaben. Bis gestern hielt sie es für einen Fehler. Heute Morgen weiß sie: Auch das hat so sein sollen. Es ist an der Zeit, dass Frauen sich zeigen mit all dem Schmerz, der Trauer und Wut, die sie so lange mit sich herumtragen. Es ist Zeit, mit der subtilen Kämpferei aufzuhören und sich offen und ehrlich gegenüberzutreten. Wir alle sehnen uns nach Frieden, nach Liebe. Doch damit Frieden eintreten und Liebe herrschen kann, müssen wir anfangen, uns zu begegnen, uns zuzuhören. Wir müssen unsere Fenster und Türen weit öffnen und dürfen nicht gleich erschrocken weggehen, wenn da mal alter Mief zum Vorschein kommt. Wir müssen anerkennen, dass letzter alter Krempel im Keller nicht das Einzige ist, was es in dem großen, hellen und gemütlichen Haus des anderen zu entdecken gibt.
Diese Begegnung war nicht zufällig oder nur ein gigantisches Aufeinaderprallen von Kollektivenergien, die Erlösung finden sollten. Sie war außerdem eine Einladung, diese Welt neu zu gestalten, mit euren Werten etwas Neues zu kreieren, das die Gesellschaft dringend braucht. Mann und Frau wissen noch so wenig voneinander und es gibt doch so viel Kennenzulernen.
Gemeinsam, weil wir besonders sind. Allein, weiterhin auf der Suche nach „der Nadel im Heuhaufen“. Wir haben die Wahl.