Eine Nacht unter Sternen

Gepostet von am Aug 1, 2017 in GeDANKEnwelt

Sie sitzen am See, halten ihre Gläser in den Händen und genießen die Natur. Die anfänglichen Unsicherheiten sind verflogen und sie unterhalten sich unaufgeregt miteinander. Er erzählt ein paar Geschichten aus seinem Leben. Sie reichen von Lausbubenstreichen bis hin zu beruflichen Veränderungen. Er erzählt mit Witz und lebendig, bleibt aber immer mit seiner Aufmerksamkeit ein Stück weit bei ihr. Sie bemerkt es bei jeder Erzählung und es freut sie, dass er nicht einer der Menschen ist, die aus einem Gespräch schnell einen Monolog werden lassen. Denn sie ist wie immer zu Beginn eher still. Er gibt ihr den Raum, ohne ihn, wie so viele andere, einfach mit sich selbst zu füllen. So entwickelt sich die angenehme Atmosphäre zwischen ihnen weiter, die seit der ersten Begegnung spürbar ist.

Während sie seiner tiefen Stimme lauscht, nimmt sie die neue Umgebung mit allen Sinnen auf. Den See, die Wälder, Felder und Wiesen rundherum, den weiten Himmel über ihnen. Sie spürt in sich hinein, in die ungewohnte Nähe zwischen ihnen. Sie fühlt das kühle Glas in den Händen und wie sich in ihr etwas völlig zu entspannen beginnt. Sie betrachtet den Mann neben sich. Wieder stellt sie fest, dass er etwas an sich hat, das sich nicht greifen lässt, was ihr jedoch immer wieder von Null auf Hundert das Herz öffnet. Er sieht sie an. Für einen kurzen Moment treffen sich ihre Blicke und halten einander fest. Ein Lächeln legt sich um ihre Lippen, denn sie hat etwas in seinen Augen gesehen, das ihr ihre Vorsicht und die letzten Zweifel nimmt.

Beherzt und voller Vertrauen beantwortet sie seine Fragen nach ihrer Herkunft, ihrer Kindheit. Dabei bleibt sie so ruhig wie selten. Traurig wird sie bei ihren Geschichten selbst schon länger nicht mehr. Doch auch die Ich-schaffe-alles-allein-Emanze in ihr bleibt völlig still. Sie erzählt von sich und ihrem Leben und lässt dabei sanft all den Schmerz, die Sehnsucht, die Vergebung und Kraft mitschwingen, die eine derartige Vergangenheit nun einmal mit sich bringt. Aufmerksam hört er ihr zu, schlussfolgert geistreich aus jeder noch so kleinen Andeutung und stellt weitere interessierte Fragen. Sie bleibt ruhig und erstaunlicherweise sehr weich. Er wird hingegen immer unruhiger. Sie bemerkt es und fragt sich leise, was das wohl zu bedeuten hat.

Die Antwort darauf lässt nicht lange auf sich warten. Fast ein bisschen ungeschickt für einen Mann seines Alters versucht er, seinen Arm um sie zu legen. Sie ist noch nicht bereit für diese Nähe und bittet ihn, seine Hände bei sich zu lassen. Er folgt ihrer Bitte, nimmt das Gespräch wieder locker auf, während sich bei ihr ein Hauch von Frust breit macht. Ist er auch so? Dient dieses ganze Prozedere, die Spontanität, sein Mut, sie einzuladen, doch nur wieder dazu, auszuloten, wie nah und wie schnell sie ihn an sich heran lässt? Gott, wie müde sie diese Gedanken machen. So oft hat sie erlebt, dass es nur darauf angelegt war, körperlich an sie heranzukommen, um die anfängliche Begeisterung in kalter Ignoranz enden zu lassen. Einen Moment verlässt sie ihre Ruhe und sie überlegt, ob sie den Abend genau jetzt beenden soll.

In diesem Augenblick schaut er sie an. Sein ruhiger, tiefer Blick trifft sie mitten ins Herz und beendet schlagartig die trüben Gedanken. Ihr ist, als würde er wissen, was gerade in ihr vorging. Sie überlegt, ob sie etwas und was sie sagen soll, um sich zu erklären, die Situation unter Kontrolle zu bringen oder am besten zu beenden. Es ist still geworden zwischen ihnen . Er sieht sie an und öffnet einfach seine Arme. Nur seine Augen sprechen zu ihr:

„Ich sehe dich. Ich spüre deinen Schmerz, deine Sehnsucht und deine Selbstkontrolle, die dich nur schützen soll. Ich spüre deine Kraft und deinen Mut, die dich hierher gebracht haben. Ich fühle, wie sehr dir weh getan wurde und wie sehr du deine Wunden heilst. Dein Schmerz trifft mich tief, denn ich sehe dich, sehe so viel Liebe, die du bist und verdienst. Ich weiß, dass du zu wenig bekommen hast. Ich gäbe mein Leben, könnte ich all die Verletzungen ungeschehen machen. Doch alles, was ich tun kann, ist mein Herz und meine Arme zu öffnen und dich so zu lieben, wie du wundervolles Wesen es verdient hast.“

Wortlos schmiegt sie sich an seine starke Schulter. Für ein paar Stunden tun sie nichts, als in die Sterne zu schauen, während bei beiden Wunden heilen, Vertrauen erstarkt und die Liebe frei fließen darf. Von Herz zu Herz, ohne Wenn und Aber, ohne Gestern oder Morgen.

 

Photo: MihaiParaschiv | pixabay.com

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