Aschenputtel mit Burn-Out oder Wenn Träume wieder fliegen lernen

Gepostet von am Jul 28, 2015 in GeDANKEnwelt

Ein Dank an zwei tolle Bloggerinnen

 

Ich lese mich gerade wieder durch den Blog von Isa und Belle und bin auf einen wundervollen Artikel zum Thema Trauer gestoßen. (Lesen lohnt sich!) Während ich diesen Artikel lese und auf mich wirken lasse, klärt sich in mir etwas. Das Thema „Kinderwunsch“ bzw. die „ungewollte Kinderlosigkeit“ nehmen nach Außen einen Großteil des Lebens der beiden ein. Zum einen, weil sie viel in die Erfüllung des Wunsches investiert haben und ebenso viel zu verarbeiten haben, währenddessen und danach. Eben wird mir klar, wie viele Parallelen es da gibt.

 

Die Ver(w)irrungen großer Träume

 

So groß wie der Kinderwunsch für Isa und Belle war oder ist, so groß ist wohl mein Wunsch nach familiärem Zusammenleben, nach liebevoller Gemeinschaft. Selbst in zerrütteten und recht lieblosen Familienverhältnissen aufgewachsen, bin ich Zeit meines Lebens damit beschäftigt, Liebe in mein Leben zu bringen oder sie zu mir kommen zu lassen. Lange Zeit habe ich sie in Form einer Partnerschaft gesucht. Oder besser: wie so viele Mädchen auf den Prinz mit dem weißen Pferd gewartet, der dann alles Böse ungeschehen macht und mit dem das Leben bis ans Ende aller Tage glücklich verläuft. Sorry, liebe Brüder Grimm, was ein hahnebüchener Schwachsinn!

 

Wenn ein Märchen keine Kuscheldecke, sondern nackte Realität ist

 

Dabei waren meine Voraussetzungen dafür sehr gut. Ich war das Aschenputtel, die Großmutter spielte mit Bravour die böse Stiefmutter. Ich war in vielem gut, immer fleißig. Ich kannte kein Spielen mit anderen Kindern, sondern war viel allein, um den Erwachsenen bei Bedarf zu Diensten zu sein. Mir wurde jahrelang eingetrichtert, dass Blut dicker als Wasser sei und ich deshalb, was immer mein Herz, meine Kinderseele auch schrie, jene zu achten und zu lieben hatte, die mich schlecht behandelten oder ignorierten, weil wir eben verwandt waren. War es da verwunderlich, dass sich die Sehnsucht nach Liebe, nach Familie, nach Geborgenheit im Bild des Prinzen verankerte?

 

Große Liebe mit Bedingungen? No way!

 

Und dann war sie da, die erste Große Liebe, mein Prinz, für den ich bereit war, meine so unfreiwillig erlernte, doch mittlerweile hochgeschätzte Selbstständigkeit aufzugeben und mit wehendem Haar auf seinem Pferd davon zu reiten, weg von meiner Familie, geradewegs hinein in eine eigene, natürlich viel bessere, liebevollere. Nach nur zwei Jahren stellte jener Mensch dann eine Bedingung. In einer speziellen Sache sollte ich mich nach seinem Wunsch entscheiden, sonst verließe er mich. Noch heute bin ich nicht ganz frei von Schock und Scham, mich dieser Bedingung unterworfen zu haben. Doch ich habe entschieden. Ich tat es so, wie er es wollte. Ich wollte ihn doch nicht verlieren oder befürchtete ich nur, ich verlöre dann meinen Traum?

 

Zusammenbrechen und Weitermachen

 

Es kam, was kommen musste. Unsere Beziehung zerbrach trotzdem und ich saß da, mit zerrütteter Familie, gebrochenem Herzen und noch mehr Ballast auf der Seele. Ich habe die Zusammenhänge erahnt, ein paar winzige Knoten gelöst, doch eigentlich wollte ich nur eins: zusammenbrechen und hinschmeißen. Die Musik war mein Rettungsanker und so gab ich nicht auf. Doch ich entschied mich aus Verzweiflung, Ratlosigkeit und Überforderung fürs Funktionieren. Ich war ungefähr zwanzig Jahre alt und nahm unbewusst Abschied von allem, was mir heilig war: der Liebe, meinen Träumen, Wünschen und von mir. Ich baute Mauern, die noch höher waren als die bisherigen. Ich vergrub alles, was weich und weiblich an mir war: meine Sinnlichkeit, meine Sexualität, die Intuition und noch viel mehr.

 

Ignoranz der Seelenstimme bis der Körper deutlich spricht

 

Wieder kam, was kommen musste. Mein Leben war voller Lektionen, Prüfungen, Bitterkeit und Schmerz. Ich fiel so oft hin, dass ich nicht mal auf die Idee gekommen wäre, das Aufstehen danach zu zählen. Es war nur immer einmal mehr. Ich wurde einer von diesen Zombies, die am Leben und dabei mehr tot als lebendig sind. Dann war ich kaum dreißig Jahre alt, mein Körper wurde krank und kränker. Schiefstellung hier, chronische Belastung da, beginnender Burn-Out dort. Zum ersten Mal seit langem hielt ich bewusst inne und stellte mit Erschrecken fest, wie fremd ich mir geworden war. Aus einem Traum war ein Albtraum geworden.

 

Der Weg ins Licht führt durch die Schatten, nicht drum herum

 

Ich habe versucht, meine Träume und Wünsche zu leben. Ich habe sie verbarrikadiert und für nicht existent erklärt. Beides ging kräftig in die Hose. Heute, viele Jahre danach, habe ich scheinbar einen guten, lichten Mittelweg gefunden. Ich liebe mich und mein Leben so sehr, wie noch nie zuvor. Ich habe mich meinen Schatten gestellt, bin durch meine finstersten Dunkelheiten gegangen und tue es im Bedarfsfall immer wieder. Dabei habe ich viel über Trauer gelernt und kann Isa nur zustimmen: „Trauer ist vielfältig in ihren Verläufen. In ihrer Intensität. In ihrem persönlichen Erleben. In ihrer Dauer. Sie verläuft außerdem viel eher in sich wiederholenden und teils gegenseitig brechenden Wellen als in starren Phasen.“

 

Noch gebe ich meinen Traum nicht auf

 

Wenngleich ich heute immer noch ab und an den Impuls verspüre, eine Fortsetzung von Aschenputtel zu schreiben mit dem Titel: „Ein Jahr danach – Wer lässt den Toilettendeckel oben und wer beschwert sich über herumliegende Stinkesocken“, ist etwas in mir noch nicht bereit, das Bild vom Prinzen mit dem weißen Pferd komplett loszulassen. Ich bin noch nicht bereit, diesen meinen Traum nach familiärem Zusammenleben, nach liebevoller Gemeinschaft aufzugeben. Ich habe mich geöffnet und gestatte meinem Traum neue Gestalt anzunehmen. Freunde können innigere Familie sein als Blutsverwandte. Liebevolle Gemeinschaft hat viel mehr Gesichter als nur das der Partnerschaft. Mein Herz hüpft, meine Seele singt ob all der warmen Bilder, die in mir aufsteigen. Doch das Bild des Einen, es reiht sich wieder still in den Kreis ein. Es bleibt ein: Ich habe noch nicht alles versucht, versuchen können. Also gebe ich meinen Traum noch nicht auf und nehme in Kauf, dass der Weg zur Erfüllung noch eine Weile einen Großteil meines Lebens in Anspruch nimmt. Warum auch nicht? Was kann mir schon passieren, was mir noch nicht widerfahren ist im wenig märchenhaften Albtraum? Nichts, denn nichts ist schlimmer, als ein Leben in Angst statt Liebe zu leben.

 

Aschenputtel

Photo by Dominik Martin | unsplash.com

4 Kommentare

  1. 7-28-2015

    Dieser Text ist wunderbar. Ich erkenne mich in vielen Dingen wieder und wandere immernoch ein wenig durch den Schatten. Aber das Kitzeln des Lichts auf dem richtigen Pfad zu spüren treibt mich an. Ich treffe Entscheidungen für mich und schütze mich.

    • 7-29-2015

      Meine Erfahrung ist, dass es da immer irgendeinen Schatten gibt. Meine These ist, dass dies immer so sein wird, so lange wir auf Erden wandeln. Doch die Länge und Tiefe der Schatten ändert sich in meinem Erleben. Meine Schatten machen mir keine Angst mehr und wir werden immer schneller Freunde.
      Dir wünsche ich weiterhin gutes und frohes Vorankommen auf Deinem Weg, Natascha!
      Namasté.
      Kristina

  2. 7-29-2015

    Die Rolle der Prinzen ist wunderbar. Sie geben Sicherheit, dass sie in den Stunden da sind, in denen wir entweder Heißhunger haben oder uns trösten wollen. Mit uns allein sein können und sie doch ganz nah bei uns spüren. Und wenn wir eintauchen in unsere Gedankenwelten – in der Hand DAS Buch, im Ohr DEN Song – dann sind wir glücklich und es ist warm und gemütlich in uns – weil sie auch eintauchen in – aufwachen – unseren Morgenkaffee oder die herrlich heiße Schokolade. Die einzige Rolle dieser Prinzen ist die, in der herrlich krümelnden Prinzenrolle nie der letzte Keks zu sein!
    Steaks können – so eine Westernzeile einer Westernlüge – im Sattel weich geritten werden. Prinzen auf Pferden sind waffentragende Söhne von Herren, die Länder und Menschen besitzen. Tragen sie keine Waffen, dann mit Sicherheit die Heere hinter ihnen. Am Abend sind die Schimmel bedeckt mit geronnenem Blut und das Heer liegt dezimiert zu seinen Füßen. Die Gegner sind besiegt oder haben gesiegt. Die Frauen beweinen Sieger und Besiegte. Und nach dem ihre Tränen keine Flüssigkeit mehr finden, sind sie verkauft, versklavt, oder kämpfen gegen diese Prinzen.
    Wen hat Marianne geliebt, als sie mit der phrygischen Mütze bekleidet, den Kampf anführte?
    Familien können wir uns nicht mehr aussuchen. Wir können sie nicht sein lassen. We are family. Die Sehnsucht nach dem Schlüssel mit dem wir uns öffnen und danach beschauen und kennenlernen können, sollte uns nicht dahin führen, auf den zu warten, der diesen Schlüssel hat. Den gibt es nicht! Wir tragen diesen Schlüssel in uns. In unserer Landschaft verborgen. Wir suchen – dann wenn wir wissen, dass wir uns erkunden müssen – Kartenleser für unsere Seelenlandschaft. Zutiefst egoistisch. Unsere Hoffnung kann nur darin liegen, dass die Suche nach unserem Schlüssel auch über Wege und über Kreuzungen führt, die auch als Wegkreuzungen des anderen Menschen erkannt werden können. Das egoistische Ziel erreicht werden kann, wenn jede/r weiß, dass er/sie sich sucht und das Finden über Kreuzungen beider Lebenswege führt.
    Nicht das Warten auf einen Menschen wird uns Antworten bringen. Aber die Frage „Warum kreuzen sich unsere Wege – gerade jetzt, gerade hier“ wird Erkenntnis geben können.
    Darüber nachzudenken ist Wandern in uns. Spannend und schön. Als Wegzehrung eignet sich hervorragend eine neue Prinzenrolle. Und ein Morgenkaffee.

    • 7-29-2015

      Lieber Herr Rade,
      ich habe schallend laut über Ihren Kommentar gelacht, herzlichen Dank dafür!
      Dass eine Prinzenrolle mit Sicherheit immer da ist, wenn ich Heißhunger habe, stimmt leider nicht, denn in meinem Keksschrank herrscht gähnende Leere. 😀
      Doch auch das liegt ja letztlich an/in mir, ebenso wie die Definition der Bilder des Einen (Prinzen) und mein Schlüssel. So wie von Ihnen beschrieben kommt mir jedenfalls kein Prinz (mehr) ins Haus gerollt. Einer, der Macht auf die blutige Art demonstrieren muss oder dem kein Mittel oder Menschenleben zu schade ist, materiellen Besitz zu verteidigen, ist so derart altbacken, dass kein Kaffee dieser Welt diesen ollen Keks noch schmackhaft machen kann.
      Und übrigens: Irgendein Keks wird immer der letzte sein. Ob man diesen nun mit Trauer, Ablehnung oder absolutem Hochgenuss genießt, liegt wieder in unseren „Händen“. Zu meinem Mittagstee käme mir solch ein letzter Keks gerade recht. 😉
      Herzliche Grüße nach RH und immer einen knusprigen Keks zur Hand wünscht,
      Kristina

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